Körperliche Aktivität als Jungbrunnen

Aktualisiert: Juni 2020

Inhalt:

  • Einführung
  • Myokine: Die Wundersubstanzen
  • Telomere: Die Altersuhr unserer Zellen

Bewegung ist die Seele aller Dinge.

Paul Klee (1879 – 1940)

Stück für Stück verstehen Wissenschaftler immer besser, wie körperliche Aktivität ihre segensreiche Wirkung auf unseren Körper und Geist entfaltet. Unser bewegungsarmer Lebensstil, den wir in der heutigen Zeit pflegen, ist gesundheitsgefährdend und lebensverkürzend. Kaum ein medizinisches Produkt hat so eine Breitenwirkung wie die körperliche Aktivität. Keine Pille der Welt wirkt nachhaltiger und ist zugleich noch so preiswert in seiner Anwendung und nebenwirkungsarm, denn diese Medizin basiert nicht auf von aussen zugeführten Fremdsubstanzen, sondern auf eigenen, vom Körper hergestellten.  In der medizinischen Wissenschaft kommt man immer mehr davon weg, den Körper bei Krankheiten ruhig zu stellen. In den letzten Jahren zeigten Studienergebnisse immer deutlicher, dass körperliche Aktivität in der modernen Therapie von Krankheiten einen zunehmend grösseren Platz erhält. Das «Wundermittel Bewegung» kann nicht nur chronischen Erkrankungen vorbeugen, es kann auch in der Therapie eine Vielzahl von Krankheiten und Befindlichkeitsstörungen zurückdrängen.
Viele Dinge, die uns im Endeffekt gut tun, sind erst einmal als ein Stressreiz, als eine Belastung, für den Körper zu bewerten, und Stress bedeutet ungesund. Erst die Antwort, die unser Körper auf diesen Reiz gibt, macht aus dem Ungesund ein Gesund. Sind wir körperlich aktiv, so wird unser Körper in mehrfacher Hinsicht in einen Stresszustand gesetzt. In den Muskeln kommt es z.B. zu feinen Mikroverletzungen durch die Beanspruchung, die vorhandenen Energiekraftwerke unserer Zellen (Mitochondrien) müssen auf Hochtouren arbeiten, das Immunsystem ist in Alarmbereitschaft und durch eine erhöhte Stoffwechselrate entstehen in den Zellen mehr freie Radikale als normal. Auf diese Reize reagiert der Körper, und zwar in Form einer sogenannten Überkompensation. Das heisst, dass er alle betroffenen Systeme nicht nur auf den gleichen Zustand wie vor der Belastung bringt und einstellt, sondern über das Ausgangsniveau hinaus. Er möchte auf zukünftige Belastungen besser vorbereitet sein. Das bedeutet z.B., dass die eigenen antioxidativen Abwehrmassnahmen über das Mass vor dem Reizeintritt hochgesetzt werden und daraus gestärkt hervorgehen. Muskeln werden nicht nur repariert, sie werden darüber hinaus noch umfangreicher und stärker gemacht. Die Energiekraftwerke (Mitochondrien) werden vermehrt, damit genügend Energiereserven zu Verfügung stehen. Auch das Immunsystem wird durch eine Vermehrung von Immunzellen schlagkräftiger und effizienter aufgestellt.

Neben einer gesunden Ernährungsweise und der Anwendung von Entspannungstechniken ist körperliche Betätigung eine der wichtigsten Handlungsweisen des Menschen, die er für seine Gesundheit tätigen kann. Regelmässige körperliche Aktivität reduziert das Risiko für weit verbreitete körperliche Beschwerden und Krankheiten. Bewegung wirkt sich auch ausserdem positiv auf das psychische Wohlbefinden und die Lebensqualität aus. Körperlich Aktive leben länger. Zudem sind sie im Alter geistig fitter und weniger pflegebedürftig. Seit Ewigkeiten mussten wir Menschen uns bewegen, um zu überleben. Somit passen unsere genetischen Anlagen von früher nicht zu unserem sitzenden Lebensstil von heute. Ein ausdauerndes Bewegungsverhalten in einem mittleren Intensivitätsbereich, es kann auch mal richtig intensiv sein, ist für uns Menschen am besten. Muskeln sind nicht nur zum Laufen oder Stehen da, sie unterhalten und tauschen sich mit anderen Organen aus. Körperliche Aktivität bedeutet etwas ganz Phantastisches für uns. Durch körperliche Aktivität können wir unsere eigenen «Medikamente» gegen die verschiedensten Krankheiten und Beschwerdebilder in unserem Körper selbst herstellen, und zwar mit Hilfe der Myokine. Myokine sind hormonähnliche Botenstoffe, die von der Muskulatur der Säugetiere bei Bewegung und Kontraktion ausgeschüttet werden.

Aerobes Training (wird empfohlen)

Die körperliche Belastung ist hierbei nur so hoch, dass sich der Sauerstoff für die Energiegewinnung in den Muskeln nicht erschöpft. Andernfalls gewinnen diese ihre Energie nämlich anaerob – ohne Sauerstoff –, wobei Milchsäure in den Muskeln entsteht. Für aerobes Training eignen sich Ausdauersportarten wie Radfahren, Laufen, Schwimmen, Walking oder Aerobic.

Anaerobes Energiestoffwechsel-Training (nicht empfehlenswert)

Bei schnellen, intensiven Trainings mit hoher Belastungsintensität benötigt der Körper in kürzester Zeit mehr Energie. Die aerobe Energiegewinnung reicht dafür nicht mehr aus. Deshalb wandelt der Körper die Kohlenhydrate nun ohne Sauerstoff durch Milchsäuregärung in Energie um. Dabei fällt Laktat an. Dies nennt man den anaeroben Energiestoffwechsel. Fette werden in diesem Bereich nicht verbrannt, denn dafür benötigt der Körper zwingend Sauerstoff. Die anaerobe Energieausbeute ist dabei weitaus geringer und kann nicht so lange aufrechterhalten werden. Bei länger andauernder Belastung kann es durch das anfallende Laktat zu einer Übersäuerung der Muskeln und zu einem Leistungsabfall kommen.

Negative Folgen von Bewegungsmangel:

  • Wenn wir gewisse Muskeln nicht brauchen, schrumpfen sie, das betroffene Körperteil wird dünn, kraftlos und steif.
  • Das Herz (ebenfalls ein Muskel) wird kleiner, seine Pumpleistung sinkt. Die Gefahr von Blutgerinnseln steigt, weil das Blut nicht mehr zügig durch den Körper strömt. Durchblutungsstörungen werden gefördert, da das Herz nicht mehr die Kraft hat, das Blut bis in die kleinsten und entferntesten Blutkapillaren zu pumpen.
  • Der Blutdruck steigt.
  • Die Peristaltik des Darms wird gehemmt, die Folge sind Verstopfung oder Darmträgheit. Das Risiko für Darmerkrankungen steigt. Die Passagezeit des Speisebreis im Darm verlängert sich, dadurch können sich krankmachende Stoffe und Substanzen entwickeln.
  • Die Knochen werden nicht mehr ausreichend ernährt, sie werden brüchig und instabil.
  • Sehnen und Bänder verkürzen sich.
  • Der Geist wird träger und die Konzentrationsfähigkeit wird herabgesetzt, da wichtige Nerven-Botenstoffe fehlen, die nur durch Aktivität und Bewegung produziert werden.
  • Depressionen können entstehen.
  • Schlafstörungen werden gefördert.
  • Die Infektanfälligkeit steigt, weil das Immunsystem bei Inaktivität weniger Fresszellen produziert und diese zusätzlich noch durch einen trägen Blutfluss nicht in alle feinen Kapillaren des Organismus transportiert werden können.

Positive Auswirkungen bei körperlicher Bewegung:

  • Bessere Durchblutung
    Bewegung regt die Durchblutung an. Dadurch erhält auch der Herzmuskel mehr Sauerstoff. Ausserdem sinkt mit zunehmender Ausdauer sein Sauerstoffbedarf. Wenn Sie Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen vermeiden, altern die Blutgefässe langsamer und eine Arteriosklerose tritt seltener und später auf. Die Neubildung von Blutgefässen (Verbesserung der Sauerstoff- und Nährstoffversorgung) wird gefördert.
  • Senkung der Herzleistung
    Je trainierter Ihr Körper ist, desto ökonomischer kann das Herz arbeiten. Das bessere Zusammenspiel der Muskeln nimmt ihm schlichtweg Arbeit ab: Da es weniger Sauerstoff und Blut in die Muskeln pumpen muss, um Leistung zu erreichen, kann es seine Schlagfrequenz senken. Zugleich aber steigt das Volumen des Herzschlags. Mit wachsender Kondition und Leistungskraft wird der Herzmuskel also zunehmend geschont und das Risiko für einen Störfall deutlich herabgesetzt.
  • Normalisierung des Blutdrucks
    Ausdauersport kann einen zu hohen Blutdruck senken.
  • Verringerte Thromboseneigung
    Die stärkere Durchblutung verringert das Risiko der Bildung eines Blutgerinnsels.
  • Flexible Herzfrequenz
    Körperliche Aktivität erhöht die Flexibilität der Herzfrequenz. Dadurch ist das Herz in der Lage, besser auf wechselnde Anforderungen des Körpers zu reagieren. Kann das Herz seine Schlagrate nicht anpassen, steigt das Risiko für einen Herzinfarkt.
  • Stabiles Knochengerüst
    Bewegung regt den Stoffwechsel im Knochen an: Eine bessere Mineralstoffversorgung macht Knochen belastbarer und elastischer. Zusätzlich bauen regelmässige Trainingseinheiten die Knochenmasse auf und wirken deren vorzeitigem Abbau entgegen. Damit wird auch einer Osteoporose vorgebeugt. Schon 3-mal wöchentlich eine halbe Stunde Traben und Trimmen erhöht die Knochendichte. Je früher Sie beginnen, umso besser, denn ein wirklicher Knochenaufbau findet nur bis ins junge Erwachsenenalter statt.
  • Aktiver Stoffwechsel
    Geht der Puls schneller und strömt mehr Blut durch den Körper, drehen sich die Räderwerke des Stoffwechsels rascher. Das steigert den Grundumsatz und die Ausscheidung von Abfallprodukten des Stoffwechsels. Verlangsamung der Fetteinlagerung (Gewichtsreduktion, Fettabbau).
  • Bessere Blutfettwerte
    Durch regelmässiges Training können Sie die Konzentrationen der Blutfette günstig beeinflussen. Mit Walking können Sie beispielsweise die Triglyzeride in Ihrem Blut senken und HDL- und LDL-Cholesterin unter Kontrolle halten, also das «schädliche» LDL reduzieren und das «gute» HDL im Gegenzug erhöhen. Wenn Sie zusätzlich die richtigen Fette zu sich nehmen, können Sie HDL- und LDL-Cholesterin ebenfalls beeinflussen.
  • Stärkung der Immunabwehr
    Mit Sport können Sie Ihr Immunsystem nachhaltig stärken. Regelmässige Bewegung erhöht Zahl und Aktivität der so genannten natürlichen Killerzellen zur Bekämpfung von Viren und Tumorzellen. Außerdem steigert Sport die Aktivität der Fresszellen (Makrophagen) gegenüber Bakterien und erhöht die Produktion von körpereigenen Abwehrstoffen (Antikörpern). Zu guter Letzt sorgt körperliche Aktivität dafür, dass der Körper seine Temperatur besser regulieren kann, was ebenfalls der Immunabwehr zugute kommt.
  • Bessere Stressresistenz
    Regelmässig trainiert, kann der Körper schädlichen Stressreaktionen besser gegensteuern. Die vermehrte Durchblutung des Körpers wirkt entspannend auf das vegetative Nervensystem. Das stärkt nicht nur das Nervenkostüm und lässt Sie besser schlafen, sondern wirkt sich auch positiv auf Regenerationsfähigkeit und Konzentration aus. Weiterhin unterstützt Sport den Abbau von Adrenalin sowie anderen Stresshormonen (z.B. Cortisol) und reduziert obendrein noch deren schädliche Wirkungen auf die Zellen.
  • Positive Stimmung und Hormone
    Was den Körper stärkt, lockert die Seele: Sport stimmt optimistisch, gibt ein besseres Körperbewusstsein und steigert das Selbstwertgefühl. Körperliche Aktivität kann deshalb bei Stimmungsschwankungen und Depressionen helfen. Sie kurbelt im Gehirn die Produktion von Glückshormonen an, die Ihre Stimmung heben, wie z.B. Serotonin. Serotonin hat sehr viele Funktionen im Körper. Es hat Einfluss auf die Laune, das Lernverhalten, den Appetit und den Schlaf. Ausserdem steuert Serotonin Bewegungen im Magen-Darm-Trakt, fördert die Blutgerinnung und wirkt gefässerweiternd. Diese so genannten Endorphine sind körpereigene Luststoffe, die Ihr seelisches und körperliches Wohlbefinden in kürzester Zeit enorm steigern können.
  • Kräftigung von Atemmuskulatur und Lunge
    Die Sauerstoffaufnahmekapazität steigt, die Sauerstoffversorgung aller Körperzellen wird verbessert.
  • Erbgut
    Reparatur von Schädigungen am Erbgut.
  • Senkung des Blutzuckerspiegels
    Bewegung wirkt wie Insulin. Der Zucker aus der Nahrung geht leichter und schneller in die Zellen. Es erfolgt eine Sensibilisierung der Zellen für Insulin (Diabetes-Prävention, DiabetesTherapie).
  • Optimierung aller biologischen Prozesse
    Aktive Muskelzellen produzieren eine Vielzahl Proteine und Botenstoffe, die wichtige Abläufe im Organismus steuern. Anregung des Muskelwachstums, Steigerung der Anzahl unserer «Brennöfen» (Mitochondrien) in den Muskelzellen (Erhöhung des Energiebedarfs). Umwandlung von trägem, weissem Speicherfett in aktives, braunes Fett (Erhöhung des Energiestoffwechsels).
  • Verdauung
    Anregung der Darmperistaltik und bessere Verdauung.
  • Psyche und Geist
    Neubildung und Schutz von Nervenzellen und deren Verbindungen. Stärkung der Gedächtnis- und Lernleistung. (Demenz- und Depressions-Prävention). Verstärkte Freisetzung von ACTH (Kreativhormon).
  • Telomere
    Verlangsamung der Telomere-Verkürzung (Gen-Schutzkappen), dadurch Verlangsamung der Zellalterungsprozesse.

Man weiss schon seit Jahrhunderten, welche positive Wirkung körperliche Aktivität auf die Gesundheit und Lebensqualität hat. Ich ermutige jeden, sich ungeachtet von Alter oder Können, sich regelmässig körperlich zu betätigen, um für eine ordentliche körperliche Entwicklung zu sorgen und die physische und mentale Gesundheit während des gesamten Lebens zu bewahren. Körperliche Bewegung bedeutet auch, kontinuierlich die Chancen auf ein möglichst langes, gesundes und selbstbestimmtes Leben zu verbessern. Unser Stoffwechsel und damit alle seine biologischen Prozesse und Wechselwirkungen sind immer noch vollständig auf ein Leben in Bewegung ausgelegt. Empfohlen wird, im Durchschnitt mindestens drei- bis viermal pro Woche eine halbe Stunde aktiv zu sein. Dies stärkt nicht nur die Muskulatur, sondern hat auch einen nachweisbaren Effekt auf das Immunsystem sowie das Herz-Kreislauf-System.

Unser Evolutionsprozess hat nicht vorgesehen, dass wir fast den ganzen Tag ein bewegungsarmes Leben führen. Unsere auf Bewegung ausgerichteten biologischen Prozesse geraten durch Inaktivität ins Stocken und aus dem Gleichgewicht. Zu guter Letzt kann das zu einer Reihe von gesundheitsgefährdenden Stoffwechselentgleisungen führen, denn körperliche Aktivität ist Grundvoraussetzung für die Stoffwechselhygiene, für die Reparatur aller Körperbausteine und für die Bewahrung ihrer Funktionalität.
Jetzt, da wir die Auswirkung von Bewegungsmangel auf die Gesundheit immer besser verstehen, haben wir erkannt, dass körperliche Inaktivität nun weltweit der viertgrösste Risikofaktor für vorzeitiges Sterben ist. Körperliche Aktivität wird als körperliche Bewegung definiert, die durch die Skelettmuskulatur erzeugt wird und Energie verbraucht. Sie beinhaltet Aktivitäten, die bei der Arbeit, beim Spiel, bei der Erledigung von Arbeiten im Haushalt, auf Reisen und in der Freizeit ausgeübt werden. Zu diesen Aktivitäten zählen beispielsweise Heben, Tragen, Gehen, Radfahren, Treppensteigen, Hausarbeit, Einkaufen, Tanzen und Gartenarbeit. Der menschliche Körper ist für Bewegung vorgesehen, und die wichtigen Systeme wie Knochen, Muskeln, Stoffwechsel, Kreislauf, Verdauung und Hormone entwickeln sich und funktionieren nur dann richtig, wenn sie durch häufige körperliche Aktivität stimuliert werden. Körperlich aktiv zu sein und sich gesund zu ernähren kann in jedem Alter einen positiven Effekt auf die Gesundheit und das Wohlbefinden haben.

Myokine, die Wundersubstanzen

Ihre Bezeichnung setzt sich aus den griechischen Begriffen "Mys" für Muskel und "Kinema" für Bewegung zusammen und verweist auf ihre Entstehung in den Muskelzellen. Durch Bewegung können wir die Produktion dieser molekularen Substanzen selbst fördern. Die Tatsache, dass es sich bei den Myokinen gewissermassen um einen inneren Arzt handelt, den Sie selbst konsultieren können, kennen vermutlich die wenigsten.
Schon seit langer Zeit ist bekannt, dass genügend Bewegung das wirksamste Mittel für ein langes, gesundes Leben ist. Warum das so ist, war lange nicht bekannt. 2007 kam man mit der Entdeckung der Myokine dem Rätsel auf die Spur. Myokine sind eine neue, hochwirksame Substanz, die vom Körper gebildet wird und sehr stark gesundheitsfördernd ist. Myokine werden jedoch nur gebildet, wenn wir uns bewegen, die Muskeln also aktiv sind. Der Muskel funktioniert beim Sport also wie ein Drüse. Die Wirkung aller Myokine ist jedoch noch nicht geklärt. Es gibt anscheinend über 300 verschiedene hormonähnliche Substanzen, welche vom Muskel ausgeschiedenen werden, sofern er auch gebraucht wird. Lange Inaktivität des Körpers erhöht die Menge an TNF (Tumornekrosefaktor) im Körper. Dies führt unter anderem zu chronischen Entzündungen. Eine zu hohe Konzentration von TNF kann über einen längeren Zeitraum zur Kachexie (Abmagerung) führen. Da TNF Entzündungsprozesse auslöst, kann es klinisch zu Autoimmunreaktionen kommen. Entzündungen im Körper sind das Milieu zur Entstehung für verschiedene Krankheitsbilder. Hier einige Beispiele von Myokinen:

Brain-derived Neurotrophic Factor (BDNF)

Durch Bewegung wird im Gehirn das BDNF gebildet. Zudem wird es bei Muskelaktivierung auch in den Muskelzellen gebildet. Das Protein BDNF wirkt im menschlichen Organismus auf eine Vielzahl von verschiedenen Neuronen sowohl im peripheren Nervensystem als auch im zentralen Nervensystem. Eine besonders wichtige Aufgabe des Wachstumsfaktors BDNF ist der Schutz von bereits existierenden Neuronen und Synapsen. Ferner stimuliert BDNF das Wachstum und die Weiterentwicklung neuer Nervenzellen, neuronalen Bahnen und Synapsen. Im Gehirn findet sich dieser Wachstumsfaktor insbesondere im Bereich von Vorderhirn, Hippocampus und Grosshirnrinde. Alle diese Areale des Gehirns sind zuständig für abstraktes Denken, logische Gedankengänge, organisatorisches Denken und Gedächtnisleistungen. Dabei spielt BDNF eine entscheidende Rolle für die Funktion des Langzeitgedächtnisses. Bei Denkprozessen, die sich ins Langzeitgedächtnis einprägen, kommt es zur Ausbildung neuer neuronaler Bahnen sowie zu einem Anstieg der Dichte an synaptischen Verbindungen. Für diese Prozesse ist BDNF der massgebende Wachstumsfaktor (neben einigen anderen Nervenwachstumsfaktoren). Insgesamt gilt BDNF als eines der biologisch aktivsten Neurotrophine und steuert bzw. stimuliert mehr als andere vergleichbare Wachstumsfaktoren den Vorgang der Nervenentwicklung beim Erwachsenen (adulte Neurogenese).

Insulin-like growth factors (IGF-1)

Durch körperliche Bewegung entstehen auch IGF-1. Unter IGF-1 versteht man ein Peptidhormon, das die Steuerung des Zellwachstums beeinflusst und strukturell dem Insulin sehr ähnlich ist. Es wird in der Leber hauptsächlich über die Stimulation von Wachstumshormon (Somatotropin), aber auch in den Muskelzellen gebildet. Seine Wirkung auf die Muskelzelle vermitteln IGF-1 über eine Besetzung von Rezeptoren, die eine Kaskade an Signalen innerhalb der Zelle auslösen. (Der Begriff Kaskadeneffekt wird als eine Metapher für sehr verschiedenartige Prozesse verwendet, die im Sinne einer Kaskade stufenweise umgesetzt werden.)
Ein Beispiel dafür ist eine Erhöhung der Muskelproteinsynthese. Zudem führt IGF-1 durch Andockung an seinem Rezeptor zusätzlich zu einer Hemmung des Muskelproteinabbaus. In Verbindung mit Somatotropin (beeinflusst das Wachstum und den Stoffwechsel) sorgt es in der Niere für einen erhöhten Vitamin-D3-Stoffwechsel, hat also Einfluss auf den Calcium- und Phosphatspiegel und damit auf die Mineralisierung der Knochen.

Interleukin-6 (IL-6)

Das erste Myokin, welches nach einer Muskelaktivität im Blut gefunden wurde, ist das Interleukin 6 (IL-6). Eine grössere Erschöpfung der Muskeln führt zu einer höheren Ausschüttung von IL-6. Es gehört zur Gruppe der proinflammatorischen Interleukine bzw. Zytokine und stellt eine Signalsubstanz des Immunsystems dar. Eine besonders wichtige Rolle kommt Interleukin-6 bei der angeborenen, unspezifischen Immunantwort zu. Des Weiteren stellt Interleukin-6 einen wichtigen Vermittler zwischen der unspezifischen und der spezifischen Immunreaktion in Bezug auf Entzündungsprozesse dar. IL-6 aktiviert beispielsweise das Enzym AMP-aktivierte Proteinkinase (AMPK) in der Muskelzelle, welches kurzfristig Engpässe in der Energiebereitstellung während Aktivitäten überbrücken soll.
Bei erhöhter Muskelaktivität steigt im Plasma die Konzentration von IL-6 auf das bis zu hundertfache Niveau an. Besonders stark ist die Aktivierung bei konzentrischen Kontraktionen. Die Konzentration steigt dabei nahezu exponentiell mit der Übungsdauer an. Zudem vermuten Forscher, dass IL-6 funktionell in den Stoffwechsel eingreift. Es ist beteiligt an der Insulin-induzierten Glukoseaufnahme. Des Weiteren gibt es nachweisliche Auswirkungen auf Lipolyse und Fettoxidation in der Skelettmuskulatur. Ebenso nachgewiesen ist eine hemmende Wirkung auf die Produktion von TNF-alpha, einem Zytokin, welches bei Entzündungsreaktionen eine grosse Rolle spielt.

Interleukin-8 (IL-8)

Ähnliche Zusammenhänge werden auch anderen Myokinen zugeschrieben. Zwar wird IL-8 im Gegensatz zum IL-6 nur in geringen Mengen bei Muskelaktivität ausgeschüttet und wirkt daher eher lokal. Es beeinflusst aber den Energiestoffwechsel und die Bildung neuer Blutgefässe.

Interleukin-15 (IL-15)

IL-15 ist bei Krafttraining eines der in höchster Konzentration auftretenden Myokine in der Skelettmuskulatur. Es hat ebenfalls Effekte auf den Stoffwechsel und wird mit der Reduktion von Fettgewebe, der Lipolyse sowie der Unterdrückung des Fettabbaus in Verbindung gebracht.

Der Zusammenhang zwischen Bewegung und Kräftigung, der Ausschüttung von Myokinen und den resultierenden positiven Effekten liegt also auf der Hand. Vielen Erkrankungen wird durch die Myokine die Grundlage entzogen. Patienten können allein durch ein Mehr an Bewegung und die durch die Myokine in Gang gesetzte Kaskade ihren Gesundheitszustand verbessern.

Telomere

Das Wort Telomer stammt aus dem Griechischen und ist aus den beiden Worten Telos (= Ende) und Meros (= Teil) zusammengesetzt.

Telomere sind Schutzkappen an den Enden der Chromosomen (Erbgutfäden), schützen sie und halten sie stabil – vergleichbar mit den versiegelten Enden eines Schnürsenkels.
Durch die ständige Zellteilung im Laufe unseres Lebens nimmt die Länge der Telomere allerdings ab und damit auch ihre Schutzfunktion. Gesunde Körperzellen haben ein natürliches Verfallsdatum, das durch die Länge ihrer Telomere definiert ist. Bei einer Zellteilung muss eine vollständige Duplikation der Erbanlagen von Anfang bis zum Ende der Chromosomenstränge erfolgen. Würden sie nicht bis ganz zum Ende gelesen, so hätte das für die neue Zelle fatale Folgen: Die Erbsubstanz wäre nicht komplett übermittelt worden. Die neue Zelle wäre entweder funktionsunfähig oder würde nur fehlerhaft funktionieren.
Die Telomere machen es  möglich, dass das Erbmaterial der Zelle bis zum Ende eines Chromosomen-Stranges gelesen und komplett kopiert werden kann.

Wenn die Zellteilungen einen kritischen Wert erreicht haben, muss die Zelle aufhören, sich zu teilen und sich zu erneuern. Die Zelle stirbt oder wird pro-inflammatorisch, also entzündungserregend. Damit wird der Alterungsprozess in Gang gebracht, zusammen mit  den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken. So laufen z.B. die Stoffwechselvorgänge in der Zelle nicht mehr rund, Abfallstoffe werden nicht mehr ordnungsgemäss abtransportiert und die Kommunikation mit anderen Zellen ist gestört. Lediglich Stammzellen produzieren das so genannte Unsterblichkeitsenzym Telomerase, das die Telomere wieder verlängern kann. Alle übrigen Zellen stellen nach etwa 50 Zyklen die Zellteilung ein.

Jahrzehntelang dachten Wissenschaftler, dass dieser Abschnitt der Chromosomen / DNA keinerlei Funktion hat. Aber die jüngsten Entdeckungen haben genau das Gegenteil herausgefunden. Dieser Teil der DNA hat eine grosse Bedeutung für eine gesunde Zellteilung und Zellfunktion und somit für ein gesundes, jugendliches Leben.

Die Länge der Telomere ist die Masseinheit für unser biologisches Alter, im Gegensatz zu unserem chronologischen Alter. Viele wissenschaftliche Studien haben eine starke Verbindung zwischen kurzen Telomeren und Zellalterung gezeigt.  Man geht heutzutage davon aus, dass die Telomere die sichtbaren Zeichen der Alterung bestimmen. Sie gelten als die «Altersuhr» in jeder Zelle und werden daher manchmal auch «Zündschnüre des Todes» genannt. Es hat sich gezeigt, dass regelmässiges körperliches Training die Telomerlänge vergrössert. Von zwei Menschen mit gleichem chronologischen Alter hat also die Person mit kürzeren Telomeren ein erhöhtes Risiko, altersbedingte Krankheiten zu entwickeln, oder sogar eine kürzere Lebenserwartung.

In unserem Körper gibt es allerdings ein Enzym, das der Verkürzung der Telomere entgegenwirkt: Man nennt es Telomerase. Dieses Enzym kommt jedoch nur in den Zellen von Embryos und in Keimzellen in grösseren Mengen vor, in allen anderen Körperzellen nur zu kleinen Teilen. Telomere sind bei Frauen länger als bei den Männern, was den Unterschied in der Lebenserwartung widerspiegelt. Die Telomer-Länge kann man durch Blutanalysen messen lassen und so das biologische Alter bestimmen. Man sollte sich aber vorab im Klaren darüber sein, was ein schlechtes Ergebnis in einem auslöst: Motivation – oder Angst und zusätzlichen Stress? Wichtig zu wissen: Alle Studien beruhen auf den Durchschnittswerten grosser Gruppen. Misst man die Telomere einer Einzelperson, ist das Ergebnis nicht unbedingt ein zuverlässiger Indikator für ihren Gesundheitszustand.

Einige Zellen, wie die der Haut, Haare und des Immunsystems sind stärker von der Telomer-Verkürzung betroffen, weil sie sich öfter teilen als andere Zellen. Deshalb nehmen wir hier die Alterung an Haut und Haar sowie die Verschlechterung des allgemeinem Gesundheitszustands auch am deutlichsten als Alterungsprozess wahr.  Auch das Immunsystem kann im Alterungsprozess sehr empfindlich auf eine Verkürzung der Telomere reagieren.

Die Telomer-Länge eines Menschen wird schon durch das Alter des Vaters bei der Empfängnis sehr beeinflusst. Weil Samenzellen zu den Zellen gehören, die mit Hilfe von Telomerase ihre Telomer-Länge über die Zeit erhöhen, haben Kinder älterer Väter längere Telomere. Dieser Effekt kann auch auf die nächste Generation übertragen werden. Der allgemeine gesellschaftliche Trend zur späten Familiengründung könnte somit unverhoffte Vorteile für die Lebenserwartung und Alterung der daraus hervorgehenden Kinder haben!

Der Alterungsprozess werde in der Telomer-Theorie zu stark vereinfacht – sagen einige Wissenschaftler. «Telomere sind nicht die einzige Ursache für die Vergreisung von Zellen. Normale Zellen sind weiteren Stressfaktoren ausgesetzt, die die Wissenschaft noch nicht besonders gut versteht», geben renommierte Forscher und Forscherinnen selbst zu bedenken. Dennoch seien sie überzeugt, dass Telomere im Alterungsprozess eine Rolle spielen. Sind es also doch vor allem die Gene, die bestimmen, ob wir gut oder schlecht, gesund oder krank altern? «Die wunderbare Nachricht ist, dass wir eingreifen und es beeinflussen können, wie kurz oder lang – wie robust – unsere Telomere sind.» Denn unser Körper ist biologisch in Abhängigkeit von unserem Lebensstil.

Wie Studien belegen, können negative Einflüsse wie

  • Chronischer Stress, dauerhafter Schlafmangel, Leben entgegen dem persönlichen Biorhythmus, Multitasking, Fremdbestimmung, Anonymität, Hektik, negative Gedanken, Bewegungsmangel
  • Rauchen, giftige Chemikalien (z. B. Pestizide), Schadstoffe (z. B. Cadmium), zu viel UV-Strahlung und Mobilfunkstrahlung
  • Fast Food und andere stark verarbeitete Lebensmittel, Zucker, raffinierte Kohlenhydrate (z.B. Weissmehl), rotes Fleisch, Chips und Frittiertes, Wurst und Würstchen, viel Alkohol, Limonaden und andere stark zuckerhaltige Getränke

die Beschaffenheit unserer Telomere verschlechtern.

Dreht man den Spiess jedoch um, gibt es jede Menge Strategien, die Chromosomen-Schutzkappen zu schonen und aufzupäppeln: «Durch gezielte Pflege der Telomere kann man die Wahrscheinlichkeit erhöhen, ein längeres und erfüllteres, gesünderes Leben zu leben», z.B. durch

  • Achtsamkeitstraining, Meditation, Fokussierung, regelmässige Auszeiten, ausreichend Schlaf, Lebensfreude, gute Laune, regelmässig moderat Sport treiben wie z. B. Aerobic, Intervall-Training oder Yoga
  • positive Freundschaften, enge Beziehungen, soziale Aktivitäten, Hilfsbereitschaft, eine intakte und lebendige Partnerschaft, Umarmungen, Wohngegenden mit hohem Zusammenhalt, Viertel mit viel Grün, eine schöne Raumgestaltung
  • frisches, möglichst pestizidfreies Gemüse und Obst, Vollkornprodukte, Nüsse, Samen, Hülsenfrüchte, Wasser als Durstlöscher:

Das sind Faktoren, die unsere Zellen auf erfreuliche Art und Weise beeinflussen können.

Verändert sich die Länge der Telomere, spiegelt sich das direkt auch in unserer Hirnstruktur.
Um herauszufinden, ob eine kurzfristige Veränderung der Telomerlänge nach nur wenigen Monaten wirklich mit Veränderungen im biologischen Alter einer Person einhergehen könnte, hat man sie mit einem anderen Biomarker des individuellen Alterns und der Gesundheit in Verbindung gebracht: der Gehirnstruktur. Das Ergebnis: «Unser biologisches Alter scheint flexibler zu sein als bisher angenommen. Anzeichen von Alterung auf verschiedenen biologischen Ebenen können sich schon innerhalb von drei Monaten parallel verändern». Veränderten sich die Telomere in der Länge, so war dies mit plastischen Veränderungen im Gehirn verbunden. Wenn sich die Telomere verlängerten, konnte auch eine stärkere Tendenz zur Verdickung des Kortex gemessen werden. Andersherum war eine Telomerverkürzung mit einer Verdünnung der Grosshirnrinde verbunden. Davon war spezifisch der sogenannte Precuneus betroffen (der Precuneus ist ein Teilbereich im Grosshirn. Er befindet sich in Höhe des Hinterkopfes direkt unter der Schädeldecke. Gemeinsam mit dem Hippocampus übernimmt er Aufgaben im Lernprozess). Der Precuneus ist auch ein Teil des zentralen Nervensystems und ein wichtiger Stoffwechsel- und Netzwerkknoten im Gehirn. Bewegung führt auch zur Bildung neuer Neuronen im Gehirn und Zunahme von Verknüpfungen zwischen bestehenden Nervenzellen. Dabei wird die Produktion des Proteins BDNF angekurbelt, das Wachstum und Überleben der Neuronen fördert. Mental anspruchsvolle körperliche Aktivität kann diesen Prozess verstärken.

Schauen Sie sich auch diesen zwei Video-Beiträge an:

Sport und Gehirn – was weiss die Neurowissenschaft (ca. 74 Min.)
Wundermittel Sport – Körper, Geist und Gene profitieren von Bewegung (ca. 9 Min.)

Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass bereits kurzfristige Veränderungen der Telomerlänge Schwankungen im Gesundheits- und Alterungszustand eines Körpers im Allgemeinen widerspiegeln. Welcher biologische Mechanismus den kurzfristigen Veränderungen in der Telomerlänge zugrunde liegt, bleibt jedoch unklar.

Fit zu sein ist kein Ziel, es ist eine Lebenshaltung.